22. Echt schön!

Sonntag, 23.06.2019 / Ålesund

Gefahrene km: 0
Übernachtung: Stellplatz Ålesund 0 €

Der Tag beginnt trüb. Heute gehen wir es gemächlich an. Am Morgen ist es so kühl, dass wir das erste Mal auf unserer Reise einheizen. Am späten Vormittag haben die Wolken aufgehellt und wir machen uns auf zu einem Erkundungsspaziergang. Am Kai entlang schlendern wir Richtung Altstadt. Es ist sehr windig und wir sind froh, die Daunenjacken angezogen zu haben.

Der Hafen von Ålesund :

Wir spazieren entlang der Jugendstilhäuser. Ach ja, das habe ich vergessen: in der Nacht von 22. auf den 23. Jänner 1904 ist Ålesund faktisch abgebrannt. Eine umgestoßene Petroleumlampe in einer Margarinefabrik war der Auslöser. Innerhalb von 16 Stunden brannten 850 Häuser nieder. Mit einem Schlag waren 10.000 Menschen obdachlos.

Der deutsche Kaiser Wilhelm kam der Bevölkerung zur Hilfe, ebenso einige Reedereien. Man schickte Schiffe mit Versorgungsgütern und Baumaterialien. Diese Schiffe wurden in der ersten Zeit als Notunterkünfte verwendet. Kaiser Wilhelm hat den Wiederaufbau der Stadt unterstützt und Großteils aus seinem Privatvermögen finanziert.

Die Jugendstilhäuser von Ålesund :

Die neuen Häuser wurden aus Stein errichtet und weil es damals eben die Mode war, im Jugendstil. Es ist ein bescheidener, schlichter Jugendstil, nicht vergleichbar mit unseren Otto Wagner Gebäuden in Wien. Und dennoch hat es seinen eigenen Charme, weil das Ensemble fast komplett erhalten geblieben ist. Es ist Sonntag und die Straßen sind menschenleer, abgesehen von den Kreuzfahrern, zwei Riesenschiffe ankern unübersehbar im Hafen.

Unübersehbar!

Wahrscheinlich haben die Norweger ihren Midsummer (habe das norwegische Wort gegoogelt!) tüchtig gefeiert. Wir gehen hinauf zur Ålesunder Kirche. Sie liegt erhöht auf einem Hügel, ein Jugendstilbau ebenfalls aus Stein errichtet. Gerade ist der Gottesdienst zu Ende und der Pastor verabschiedet sich an der Türe von den Gemeindemitgliedern. Da fallen mir zwei ältere Damen auf, festlich gekleidet in ihrer Tracht. Höflich frage ich, ob ich sie fotografieren darf und daraus entwickelt sich ein Gespräch. Es sind Mutter und Tochter. Die Mutter hat die Trachten bestickt, nicht nur die eigene, sondern auch jene für ihre drei Töchter und etliche Enkelinnen. Nachher stellt sich heraus, gerade war die Taufe von Urenkerl Nr.9, und das jüngste Urenkerl Nr. 10 ist gerade zwei Tage alt. Das erfahre ich von den Urgroßeltern, beide bereits im vorgerückten Alter von 85 und 83 Jahren. „Ja, wir sind halt sehr gesund!“ meint die großartige Trachtenstickerin.

Die Kirche von Ålesund :

Die Kirche beeindruckt mich sehr. Der dunkle Holzboden und das getäfelte Dachgewölbe erinnern an ein Schiff. Das ist oft so in Norwegen. Das erfahre ich von einem anderen Gemeindemitglied. Die Dame erklärt mir auch stolz, dass die Orgel die zweitgrößte Norwegens sei, und ehrlich gesagt, das sieht man ihr an! Und dann fällt mir wieder etwas auf. In jeder Kirche hängt von der Decke ein kleines Schiff. So auch hier, ein hübscher Dreimaster modernerer Ausführung. Leider habe ich im Eifer vergessen ihn zu fotografieren. Aber gestern in der Rosenkirche von Stordal war es ein altes Schiff noch mit dänischer Beflaggung, immerhin davon habe ich ein Foto.

Das Minischiff in der Rosenkirche von Stordal

Also, die Norweger sind ein Volk der Fischer und das Meer lieferte ihnen für Jahrhunderte ihr tägliches Auskommen. Aber mit den Schiffen die Meere zu befahren war auch eine riskante Sache. Bevor es Wetterradar, Funkgeräte und Echoortung für Fischschwärme gab, wusste man nie, ob man zu seinen Lieben zurückkehren würde.

Diese Schiffe in den Kirchen symbolisieren, die letzte Fahrt in den Himmel. Und für viele Fischer wurde das Meer auch ihre letzte Bleibe. Für diese letzte Fahrt braucht man keine Rettungsboote, deshalb haben diese Miniaturschiffe auch keine. Natürlich haben die Norweger eine enge Beziehung zum Meer, aber das Bild kann auch für uns ein Symbol sein. Eigentlich befinden sich jeder von uns auf seiner Reise, die ihn durch den Ozean des Lebens führt und wir können kaum vorhersehen oder dafür vorsorgen, was uns erwartet. Manchmal sind die Wellen, die uns entgegenschlagen riesengroß, manchmal dümpeln wir in einer totalen Flaute vor uns hin und manchmal segeln wir mit frischem Wind flugs dahin. Keiner von uns weiß, wann seine Reise zu Ende sein wird, und das ist gut so. Vielleicht sollten wir uns alle so ein kleines Schiff zuhause aufhängen, das uns an unsere Vergänglichkeit erinnert. Vor lauter Plaudern habe ich ganz vergessen die Kirche zu fotografieren, aber zumindest Egbert hat seinen Teil getan.

Die beiden genießen aus die Sonne!

Es ist schon weit über die Mittagszeit, unsere Mägen beginnen zu knurren und wir schlendern wieder zurück zum Womo. Hier genießen wir unser Mittagessen und vertrödeln beim Kaffeetrinken und Lesen den Nachmittag.

Blick aus dem Womo am Nachmittag

Aber das Wetter hellt zusehend auf und so machen wir uns nochmals auf den Weg in die Stadt, drehen eine Runde, sehen den unverwüstlichen Kajakfahrern zu und Egbert erklärt der Fischfrau, dass er doch lieber den anderen Fisch hätte.

Nein, nicht den …
… den bitte!
Erwischt!

Zufrieden essen wir Eiernockerl zum Abendessen und als um Mitternacht, während die Sonne sich langsam niederlegt, die Hurtigruten vor unserem Womo vorbeifahren um direkt daneben im Hafen anzulegen, stürze ich aus dem Womo und schieße noch schnell ein paar Fotos.

Die Hurtigruten gehen vor Anker:

Ein schöner Tag geht zu Ende, wir haben die Ruhe und den Urlaub vom Urlaub genossen. Morgen geht es weiter auf unserer Route in den Norden.

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